
Kann medizinisches Cannabis Abhilfe bei den Symptomen von ADHS verschaffen?
Die meisten Menschen mit der Diagnose ADHS, egal welches Alter, Geschlecht oder Stärke der Ausprägung haben wahrscheinlich eines gemeinsam: Sie haben schon sehr, sehr viele Behandlungen ausprobiert, um ihre Symptome in den Griff zu bekommen. Zu diesen zählen unter anderem Konzentrationsprobleme, Depressionen, Schlaf- und Angststörungen, sowie zeitweise unkontrollierbare Impulsivität. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten – die alle Linderung versprechen. Doch vieles, was bei einem Symptom hilft, scheint dafür ein anderes zu verschlimmern.
Eine Methode, die in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit zur Linderung der Symptome bei ADHS gewonnen hat, ist der Einsatz von medizinischem Cannabis.
Doch vor einer Behandlung gilt es, eine Diagnose zu stellen. Dazu werden einige Klassifizierungswerkzeuge benötigt, die die Frage klären sollen:
Was ist ADHS?
Zunächst einmal steht ADHS für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (englisch: (Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder) Doch um zu erfahren, was dies genau bedeutet, lohnt sich ein Blick in die ICD-11: die internationale Klassifikation der Krankheiten, 11. Revision. Das ist ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickeltes System, um Krankheiten einheitlich zu klassifizieren.
Dort steht unter der Kategorie neuronale Entwicklungsstörung: ADHS bedeutet hauptsächlich, dass jemand mindestens 6 Monate lang Muster von Unaufmerksamkeit und / oder Hyperaktivität mit Impulsivität bei sich feststellt. Diese Muster wirken sich außerdem negativ auf Schule, Beruf oder soziales Umfeld aus.
Die Diagnose
Für eine Diagnose sollten diese Muster bereits in der Kindheit, genauer vor dem 12. Lebensjahr, begonnen haben und die Auffälligkeiten sehr stark ausgeprägt sein. Daher wurde eine grobe Unterteilung in drei Schweregrade vorgenommen: leicht, mittelschwer und schwer.
Doch eines ist sicher: egal welcher Grad, die Begleiterscheinungen von ADHS können bei Betroffenen häufig zu Problemen in den verschiedensten Lebensbereichen führen.
Symptome von ADHS
Auch hier wird im ICD-11 eine Gliederung in drei Unterkategorien vorgenommen:
- ADHS – vorwiegend unkonzentriert
- ADHS – vorwiegend hyperaktiv-impulsiv
- ADHS – kombiniert
Symptome nach DSM
Die Symptome im DSM – ein Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) – belaufen sich auf: Unkonzentriertheit / Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.
Diese Kriterien beziehen sich hauptsächlich auf Kinder und Jugendliche. Eine Zeit lang ging man davon aus, dass ADHS ein reines Verhaltensproblem sei und dass fast ausschließlich Kinder davon betroffen sein können.
Heute wird es zunehmend als komplexe, andauernde Abweichung des Selbstmanagement-Systems im Gehirn verstanden. Daher hat sich mittlerweile auch der Begriff Neurodivergenz in unserem Sprachgebrauch etabliert.
ADHS im Erwachsenenalter
Um die Klärung einer möglichen Diagnose für Erwachsene etwas zugänglicher zu gestalten, werden häufig die Wender-Utah-Kriterien herbeigezogen:
- Aufmerksamkeitsstörung
- Motorische Hyperaktivität
- Affektlabilität
- Desorganisiertes Verhalten
- Affektkontrolle
- Impulsivität
- Emotionale Überreagibilität
Medizinisches Cannabis in der Behandlung von ADHS bei Erwachsenen
Obwohl die Forschung im Bereich der Therapie mit Medizinalcannabis noch relativ begrenzt ist, wird Cannabis von einigen ADHS-Betroffenen als Mittel zur Linderung ihrer Symptome genutzt. Die möglichen positiven Effekte hängen mit den Cannabinoiden zusammen, insbesondere mit THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol).
Mögliche Vorteile einer Cannabis-Therapie bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
THC verändert nachweislich den Dopaminspiegel im Gehirn und könnte daher dazu beitragen, diesen bei ADHS verschobenen Spiegel wieder auszugleichen. Berichten zufolge fühlen sich einige Betroffene nach der Einnahme von THC fokussierter, konzentrierter und weniger impulsiv.
CBD kann aufgrund seines nicht vorhandenen psychoaktiven Effekts und der beruhigenden Wirkung dabei helfen, innere Unruhe, Stress und Schlafprobleme zu lindern.
Außerdem interagieren die Cannabinoide mit dem Endocannabinoid-System des Körpers. Dieses spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation von Stimmung, Aufmerksamkeit und Impulskontrolle. Besonders im Darm, unserem „emotionalen Gehirn“ können, vor allem die im CBD enthaltenen Cannabinoide aufgrund entzündungshemmender Eigenschaften positive Wirkungen erzielen.
Des Weiteren aktiviert THC die CB1-Rezeptoren im Gehirn, vor allem im Hypothalamus: das Zentrum für Hunger und Sättigung. Dadurch kann medizinisches Cannabis bei Essstörungen als Komorbiditäten von ADHS helfen. Ein weiteres typisches Problem, das viele Betroffene haben: Sie vergessen das Essen ganz einfach, aufgrund von schlechter Organisation oder Prioritätensetzung. Auch dabei können die appetitanregenden Effekte von THC hilfreich sein.
Aktuelle Studien zu Cannabis als Therapieoption für psychische Erkrankungen
Die derzeitige Datenlage zu medizinischem Cannabis als Behandlungsmöglichkeit bei psychischen Leiden ist nach wie vor sehr spärlich. Ein Review, das 2020 bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) vorgestellt wurde, bestätigt erste Hinweise auf die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei einer Reihe von psychischen Erkrankungen.
CBD kann tendenziell dazu beizutragen, soziale Ängste zu reduzieren und als Add-on bestimmte Symptome bei einer Schizophrenie verbessern. Kleine Fallstudien deuten außerdem auf mögliche positive Einflüsse von medizinischem Cannabis bei Schlafstörungen und PTBS hin.
Fazit zur Datenlage
Es wird diskutiert, dass Veränderungen im Endocannabinoid-System (ECS) auch mit psychischen Störungen wie Ängsten, Schizophrenie, Depression und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) in Zusammenhang stehen könnten. Zu diesen Veränderungen gehören beispielsweise ein Mangel an Endocannabinoid beziehungsweise eine Dysfunktion des Systems. Daher sind die Komponenten des ECS wichtige Faktoren bei Diagnose, Prognose und Prädiktion der Wirksamkeit von Therapien - auch bei psychischen Erkrankungen.
Allerdings fehlen aktuell noch qualitativ hochwertige Studien, um den direkten Einfluss von Cannabinoiden bei psychischen Störungen zu untersuchen. Die Studien, die vorhanden sind, sind oft nur kleine Fallstudien mit wenigen Teilnehmern – und daher wissenschaftlich nicht ausreichend, um generelle Aussagen zu treffen. In einem scheinen sich jedoch alle einig zu sein: Ein weiterer Blick in diese Richtung lohnt sich und neue, größere Studien werden erwartet.
Fazit: Medizinisches Cannabis bei ADHS
Allgemein werden seit Jahren immer mehr Menschen mit ADHS diagnostiziert – was auch wieder nur die offiziellen Zahlen sind. Die wahrscheinlich relativ hohe Dunkelziffer bleibt unbekannt. Die benötigten Behandlungen werden dringlicher denn je. Es ist Hoffnung in die Forschung zu legen, wo qualitativ hochwertigere Studien bereits angekündigt wurden. Des Weiteren bleibt zu erwähnen, dass jeder Mensch individuell ist und somit auch individuell auf Behandlungen und Therapien reagiert. Die herkömmlichen Behandlungsmethoden belaufen sich auf chemisch hergestellte Medikamente und auch der ADHS Deutschland e.V. schreibt zu Beginn seines Statements:
„Cannabis, zu Deutsch: Hanf, ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Seit der Antike ist auch ihre somatische und psychoaktive Wirkung bekannt.“
Diese Pflanze hat ihren Weg zurück in die moderne Medizin gefunden – bestimmt mit einem berechtigten Grund. Da erste Studien die Wirksamkeit von Cannabis bei einigen Symptomen von ADHS bestätigen, und auch die gängig eingesetzten Medikamente bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ihre Nebenwirkungen zeigen, könnte es bei manchen einen Versuch wert sein.
Unter Berücksichtigung einiger Faktoren, wie beispielsweise die regelmäßige Kontrolle des eigenen Wohlbefindens während der Therapie bei einem Arzt. Als Ergänzung oder sogar Alternative zur bestehenden Auswahl hat medizinisches Cannabis definitiv Potenzial und sollte weiter erforscht werden. Um möglichst vielen Individuen, die an ihren ADHS-Symptomen leiden, helfen zu können.