
Kann Medizinisches Cannabis gegen Depression helfen?
Seit einigen Jahren werden Cannabis beziehungsweise cannabishaltige Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt. Auch wenn die Studienlage noch zu lückenhaft ist, sind erste positive Ergebnisse berichtet worden. Könnte medizinisches Cannabis also eine echte Alternative zu herkömmlichen Behandlungsmethoden bei einer Depression sein? Wie sinnvoll ist es, mit einer depressiven Erkrankung diese Therapieoption in Betracht zu ziehen?
Was ist eine Depression?
Laut dem internationalen Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen, dem ICD-11, ist eine Depression folgendermaßen definiert:
Eine depressive Episode ist gekennzeichnet durch eine Phase von mindestens 2 Wochen, in der die betroffene Person unter einer depressiven Stimmung (tieftraurig, leer, hoffnungslos) und/oder einem Verlust von Interesse oder Freude an Aktivitäten leidet. Diese Symptome müssen die meiste Zeit des Tages an den meisten Tagen auftreten.
Kriterien für eine Diagnose
Mindestens 5 der folgenden 9 Symptome müssen laut DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) während derselben 2-Wochen-Periode vorhanden sein. Eines der Symptome muss entweder eine depressive Stimmung oder Interessenverlust sein:
- Depressive Verstimmung fast den ganzen Tag
- Deutlich vermindertes Interesse/Freude an allen oder fast allen Aktivitäten
- Signifikanter Gewichtsverlust oder -zunahme bzw. Appetitveränderung
- Schlaflosigkeit oder Hypersomnie
- Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung
- Müdigkeit oder Energieverlust
- Gefühle von Wertlosigkeit oder übermäßige Schuldgefühle
- Konzentrationsprobleme oder Entscheidungsunfähigkeit
- Wiederkehrende Gedanken an Tod, Suizidgedanken oder -versuche
Weitere Bedingungen:
- Symptome verursachen klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigung
- Die Episode ist nicht Folge von Substanzen oder anderen medizinischen Erkrankungen
- Keine manischen oder hypomanischen Episoden in der Vorgeschichte
Schweregrad der Depression
Eine Depression wird außerdem in 3 verschiedene Schweregrade unterteilt: Leicht, mittel, schwer. Die Einteilung ist dabei abhängig von der Anzahl, Intensität und dem Grad der Beeinträchtigung.
Typische Behandlung einer depressiven Erkrankung
1. Psychotherapie (Gesprächstherapie)
Die am häufigsten eingesetzte Form ist die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Der Fokus liegt hierbei auf Gedankenmustern, Verhalten und Selbstwahrnehmung. Das Ziel: negative Denkmuster erkennen und verändern. Eine weitere Methode ist die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder Psychoanalyse. Dabei werden unbewusster Konflikte und Beziehungserfahrungen bearbeitet. Sie ist als längerfristige Therapie ausgelegt.
Kosten: Wird in der Regel von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen.
Zugang: Per Überweisung oder direkte Terminvereinbarung – lange Wartezeiten sind leider häufig.
2. Medikamentöse Behandlung (Antidepressiva)
Typische Wirkstoffklassen:
- SSRI (z. B. Citalopram, Sertralin)
- SNRI (z. B. Venlafaxin, Duloxetin)
- Trizyklische Antidepressiva (ältere Generation, mehr Nebenwirkungen)
- MAO-Hemmer (selten, bei therapieresistenter Depression)
Ziel: Stabilisierende Wirkung auf Botenstoffe im Gehirn (v. a. Serotonin, Noradrenalin, Dopamin)
Wirkungseintritt: in der Regel nach 2–4 Wochen
Verordnung: Nur durch Hausarzt oder Facharzt (Psychiater)
3. Kombinationsbehandlung
Besonders bei mittelschweren bis schweren Depressionen wird eine Kombination aus Psychotherapie + Antidepressiva empfohlen. Studien zeigen, dass dies oft wirksamer ist als nur eine Methode allein.
4. Weitere oder ergänzende Maßnahmen
Psychoedukation
- Aufklärung über Depression, Symptome, Verlauf, Umgang
- Häufig in Gruppensettings oder Selbsthilfegruppen
Sport / Bewegungstherapie
- Positive Effekte auf Stimmung, Schlaf und Stressregulation
- Wird teilweise in stationären Therapien aktiv integriert
Lichttherapie
- Besonders bei saisonal abhängiger Depression (SAD) - auch bekannt als Winterdepression - wirksam
Achtsamkeit & Meditation
- Zum Beispiel MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction)
- Ergänzend zur Psychotherapie hilfreich
5. Stationäre oder teilstationäre Behandlung
Bei schweren, akuten oder chronischen Verläufen kann ein Aufenthalt in psychiatrischen Kliniken oder psychosomatischen Fachkliniken sinnvoll sein. Das Angebot umfasst meist eine Kombination aus Medikamenten, Einzel- & Gruppentherapie, sowie kreativen & körperbezogenen Verfahren.
6. Spezialverfahren bei therapieresistenter Depression
Wenn klassische Methoden nicht ausreichend helfen:
- Elektrokonvulsionstherapie (EKT) – unter Narkose, bei schweren Fällen
- Ketamin-Infusionen – in spezialisierten Zentren, experimentell
- rTMS (Repetitive transkranielle Magnetstimulation) – Hirnstimulation
- Vagusnervstimulation – invasiver neurotechnischer Eingriff, selten
- Medizinisches Cannabis – erste positive Berichte, aber lückenhafte Studienlage
Medizinisches Cannabis als Therapieoption bei Depressionen
Um herauszufinden, ob medizinisches Cannabis eine echte Alternative in der Behandlung von depressiven Störungen bieten kann, lohnt sich ein Blick auf seine Wirkung im Körper.
Cannabis enthält über 100 aktive Substanzen, vor allem:
- THC (Tetrahydrocannabinol) – psychoaktiv
- CBD (Cannabidiol) – nicht psychoaktiv, eher angst- & entzündungshemmend
Beide wirken auf das Endocannabinoid-System (ECS), welches modulierend wirkt – zum Beispiel bei der Stressverarbeitung und der Aufrechterhaltung der homöostatischen Balance. Es ist außerdem beteiligt an:
- der Steuerung von Emotionen und damit der Stimmung
- kognitiven Funktionen
- Motivation
- motorischer Aktivität
- Immun- und Entzündungsprozessen
- Appetit
- Schmerzempfinden
- Schlaf
Es wird diskutiert, dass Veränderungen im ECS wie beispielsweise ein Endocannabinoid-Mangel beziehungsweise eine Dysfunktion des Systems auch mit psychischen Störungen wie Ängsten, Schizophrenie, Depression und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) assoziiert sein könnten. Daher werden die Komponenten des ECS als mögliche Biomarker zur Diagnose, Prognose und Prädiktion der Wirksamkeit von Therapien – auch bei psychischen Erkrankungen untersucht.
Aktuelle Studienlage: Cannabis bei psychischen Erkrankungen
Die derzeitige Datenlage zu medizinischem Cannabis als Behandlungsmöglichkeit bei psychischen Leiden lässt nach wie vor zu wünschen übrig. Ein Review, das 2020 bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) vorgestellt wurde, bestätigt erste Hinweise auf die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei einer Reihe von psychischen Erkrankungen. Kleine Fallstudien deuten außerdem auf mögliche positive Einflüsse von medizinischem Cannabis bei Schlafstörungen und PTBS hin.
Studien zu chronischer Depression
Die Ergebnisse einer aktuellen Studie liefern erste Hinweise auf den Nutzen und die Sicherheit bei der ärztlichen Behandlung von chronischen Depressionen mit medizinischem Cannabis. Die Therapiesicherheit wurde dabei ebenfalls bestätigt. Knapp ein Drittel der Teilnehmenden beklagte sich über Nebenwirkungen, allerdings über keinerlei schwerwiegende (z.B. Psychosen), sondern ausschließlich über milde Nebenwirkungen wie z.B.
- Müdigkeit
- Konzentrationsschwäche
- Übelkeit
- trockene Augen
Die Ergebnisse aktueller und künftiger Studien werden weitere Klarheit bezüglich des Potenzials von Cannabisarznei schaffen können. Abschließend bleibt festzustellen: es gibt in vielen Bereichen noch große Datenlücken, auch wenn die Untersuchung des ECS in den letzten 30 Jahren rasant war. Weitere Forschung ist nötig, um die Risiken und Potenziale von Cannabis besser zu verstehen.
Vorteile von Cannabis bei Depressionen
Potenzielle positive Effekte bei der Behandlung von depressiven Störungen mit Cannabis, wurden von Studienteilnehmenden bereits berichtet.
Linderung der Symptome
Gerade bei einer mittelschweren bis schweren Verstimmung kann medizinisches Cannabis nachgewiesen zu einer Linderung der depressionsbedingten Symptome beitragen. Dies beschrieben Teilnehmende in ersten Studien. Zusätzlich eingenommenes CBD mit einem hohen Cannabidiol-Gehalt, kann stimmungsaufhellend und angstlindernd wirken. Außerdem tragen medizinisches Cannabis und CBD zu einer Verbesserung des Schlafs bei. Mögliche Ziele einer Cannabis-Therapie bei Depressionen sind:
Kurzfristig:
- Schlaf verbessern
- Ängste beruhigen
- Stimmung stabilisieren
Langfristig:
- Stress reduzieren
- Antrieb unterstützen
- Stimmungslage ausgleichen
Vor allem, wenn andere Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind oder sich als nicht wirksam herausgestellt haben, kann medizinisches Cannabis eine echte Alternative in der Behandlung von Depressionen sein – vor allem wenn diese chronisch sind.
Fazit: Cannabis als potenzielle Ergänzung bei Depressionen?
Depressionen sind vielschichtig – ebenso wie ihre Behandlungsmöglichkeiten. Medizinisches Cannabis könnte bei bestimmten Personen eine hilfreiche Ergänzung oder sogar Alternative darstellen, insbesondere, wenn klassische Therapien versagen oder starke Nebenwirkungen mit sich bringen. Eine verantwortungsvolle ärztliche Begleitung ist jedoch essenziell.
Was Cannabis besonders interessant macht: Es wirkt über ein körpereigenes System (ECS), das direkt an der Emotionsregulation beteiligt ist. Und genau da setzt auch die Hoffnung an, die viele Betroffene in diese Pflanze legen.
Doch bis eine klare medizinische Empfehlung ausgesprochen werden kann, braucht es weitere hochwertige Studien mit größeren Teilnehmerzahlen. Für viele Betroffene ist Cannabis – richtig dosiert und kontrolliert – dennoch schon heute ein kleiner Hoffnungsschimmer im Kampf gegen die Schwere der Depression.
FAQ – Medizinisches Cannabis bei Depressionen
1. Kann Cannabis wirklich bei Depressionen helfen?
Erste Studien und Erfahrungsberichte zeigen, dass medizinisches Cannabis depressive Symptome lindern kann – etwa Schlafstörungen, Ängste oder Antriebslosigkeit. Besonders bei chronischer Depression oder wenn andere Behandlungen nicht helfen, kann es unterstützend wirken. Die Forschung steht aber noch am Anfang.
2. Wie wirkt Cannabis im Körper bei Depressionen?
Cannabis beeinflusst das sogenannte Endocannabinoid-System (ECS). Dieses reguliert Stimmung, Schlaf, Stress, Schmerz und Entzündung. Besonders CBD wirkt beruhigend, angstlösend und schlaffördernd. THC kann stimmungsaufhellend wirken – in niedriger Dosierung.
3. Ist Cannabis eine Alternative zu Antidepressiva?
Cannabis ist kein Wundermittel und sollte nur unter ärztlicher Begleitung verwendet werden. Für einige Menschen könnte es ergänzend oder als Ersatz sinnvoll sein, vor allem bei starker Unverträglichkeit von Antidepressiva oder bei chronischen Verläufen.
4. Was ist der Unterschied zwischen chronischer und akuter Depression?
Eine akute Depression tritt plötzlich auf und dauert meist mehrere Wochen bis Monate.
Eine chronische Depression (persistierende depressive Störung) besteht über mindestens 2 Jahre – oft mit weniger schweren, aber anhaltenden Symptomen. Cannabis wird besonders bei chronischer Depression als mögliche Ergänzung diskutiert.
5. Gibt es Risiken oder Nebenwirkungen?
Ja, vor allem bei THC. Mögliche Nebenwirkungen und Risiken:
- Abhängigkeit (Sucht)
- Müdigkeit
- Konzentrationsprobleme
- Übelkeit
- Trockene Augen
Bei zu hoher Dosis sind auch Angst oder Unruhe möglich. Deshalb sind eine niedrige Dosierung und ärztliche Kontrolle wichtig.
6. Kann ich Cannabis einfach ausprobieren, wenn ich depressiv bin?
Nein! Cannabis sollte niemals zur Selbstbehandlung ohne ärztliche Begleitung verwendet werden – besonders bei psychischen Erkrankungen. Wichtig sind eine genaue Diagnose und ein individueller Behandlungsplan.
7. Wird die Behandlung mit Cannabis von der Krankenkasse übernommen?
In Einzelfällen ja – aber nur bei nachgewiesener Behandlungsbedürftigkeit und wenn andere Therapien nicht ausreichend helfen. Der Arzt muss einen Antrag bei der Krankenkasse stellen.
8. Was sagt die Forschung zu Cannabis bei Depression?
Es gibt erste positive Hinweise – z. B. zu besserem Schlaf, reduzierter Angst oder stabilisierter Stimmung. Aber: Langzeitstudien und größere klinische Studien fehlen noch, um klare Empfehlungen auszusprechen. Weitere Forschung ist notwendig.